Samstag, 1. September 2012

"Reha vor Pflege" gilt auch bei leichter Demenz


Geriatrische Patienten mit Nebendiagnose Demenz erhalten oft keine Rehabilitation, obwohl dies Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkasse sind. Wissenschaftler haben jetzt im Auftrag des DIMDI untersucht, ob und wenn ja welchen Nutzen entsprechende Maßnahmen für leicht bis moderat demenzkranke Patienten haben. Demnach profitieren durchaus auch diese Patienten von einer Rehabilitation.
Ihre Ergebnisse fasst ein neuer HTA-Bericht zusammen (Health Technology Assessment, systematische Bewertung gesundheitsrelevanter Verfahren und Technologien). Er ist kostenfrei auf den Webseiten des DIMDI abrufbar.

Für ihren Bericht identifizierten die Autoren in einer systematischen Literaturrecherche 16 relevante Publikationen zur geriatrischen Rehabilitation. Die eingeschlossenen Studien befassen sich überwiegend mit stationären Behandlungen. Lediglich eine Studie untersucht ambulante mobile Maßnahmen. Hinsichtlich Teilnehmerzahl, Interventionsform oder untersuchter Kriterien sind die Studien sehr heterogen, weshalb ein Vergleich der Ergebnisse nur begrenzt möglich ist.

Ergebnisse des Berichts
Die Autoren stellen fest, dass leicht bis moderat demenzkranke Patienten durchaus von Rehabilitationsmaßnahmen profitieren. Allerdings erzielten sie Studienergebnissen zufolge verglichen mit nicht an Demenz erkrankten Patienten Fortschritte langsamer, erreichten geringere Verbesserungsraten und könnten ein niedrigeres Anfangs- und Endniveau aufweisen. Für stark Demenzkranke treffen die Autoren keine Aussagen, da diese häufig aus Studien ausgeschlossen sind.
Wenn Demenz kein Ausschlussgrund für eine Rehabilitation ist, durchlaufen entsprechende Patienten meistens dasselbe Programm wie nicht-demenzkranke Patienten. Eine Anpassung an ihre speziellen Bedürfnisse würde zu besseren Ergebnissen führen und Komplikationen vermeiden.
Programme, die die Wahrnehmungsfähigkeit fördern, erreichen bei Patienten eine stärker selbstständige Lebensführung und mehr Lebenszufriedenheit, so die Autoren. Daher sollten bestehende Rehabilitationsprogramme um kognitives Training und Übungen erweitert werden. Besonders effektiv und nachhaltig wirkten derartige Programme, wenn gleichzeitig Angehörige geschult würden.
Im Vergleich eines multidisziplinären Rehabilitationsprogramms mit pflegerischen Leistungen ohne Rehabilitation liegen die Ausgaben in der Rehabilitationsgruppe zunächst höher. Nach zwölf Monaten benötigen die Personen, die nur pflegerische Leistungen erhalten hatten, jedoch häufiger eine 24-Stunden-Betreuung, wodurch sie höhere Pflegekosten verursachen.

Grundsatz: "Rehabilitation vor Pflege"
Bereits 2009 veröffentlichten die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) eine Leitlinie zur Demenz. Darin stellen sie fest, dass spezifische Rehabilitationsmaßnahmen bei leicht- bis mittelgradig Demenzkranken Beweglichkeit und Selbstversorgungsfähigkeit ähnlich gut verbessern wie bei nicht-demenzkranken Patienten. Bislang erhalten Patienten mit der Nebendiagnose Demenz häufig keine Rehabilitation. Als mögliche Gründe dafür nennen die Autoren des HTA-Berichtes, dass ein Nutzen für die Betroffenen bisher bezweifelt wurde. Auch halte man sie oft körperlich und kognitiv für zu stark eingeschränkt. Die geriatrische Rehabilitation ist jedoch eine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen (§ 40 SBG V) und begründet den Grundsatz "Rehabilitation vor Pflege".

Versorgungssituation
Das Bundesministerium für Gesundheit nennt für 2011 rund 1,2 Millionen demenzkranke Menschen in Deutschland. Die Zahl alter Menschen wird in Deutschland zukünftig weiter wachsen. Daher ist für die nächsten Jahrzehnte mit einem weiteren Anstieg der Demenzerkrankungen zu rechnen. Nach Hochrechnungen könnte sich ihre Zahl bei weiter ansteigender Lebenserwartung und konstanten altersspezifischen Erkrankungsraten bis 2050 mehr als verdoppeln. Die Krankheitskosten für Demenz betrugen laut statistischem Bundesamt für 2008 rund 9,4 Milliarden Euro. Das entspricht einem Drittel der Kosten für psychische Störungen und Verhaltensstörungen. Der finanzielle Aufwand für den Einzelnen entfällt dabei nur zu einem geringen Teil auf die medizinische Behandlung. Über 95 Prozent dieser Kosten verursachen Pflege und Betreuung.

Fazit der Autoren
Die Autoren des HTA-Berichts fordern, den Grundsatz "Rehabilitation vor Pflege" auch bei Patienten mit der Nebendiagnose Demenz konsequent umzusetzen. Sie empfehlen weiterhin
- geriatrische Rehabilitationsprogramm um die Behandlung der gestörten Wahrnehmung zu erweitern.
- Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal im Umgang mit Demenzpatienten regelmäßig zu schulen und zu coachen.
- den Übergang von der stationären Pflege zum Aufenthalt in der eigenen Wohnung durch Hausbesuche der Therapeuten zu verbessern.
- Angehörige von Demenzkranken aktiv in die Rehabilitation einzubeziehen.

Hintergrund: Demenz und Geriatrie
Demenz bezeichnet den Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit. Sie ist abzugrenzen von nur leichten geistigen Beeinträchtigungen wie einer verminderten Merkfähigkeit oder einem eingeschränkten Denkvermögen. Diese können jedoch den Übergang zu einer beginnenden Demenz darstellen. Pro Jahr entwickeln etwa zwölf Prozent der Patienten mit einer leichten kognitiven Störung eine Demenz.
Geriatrische Patienten sind überwiegend älter als 70 Jahre und leiden an mindestens zwei behandlungsbedürftigen Krankheiten. Die Ziele einer geriatrischen Rehabilitation decken sich mit denen einer Rehabilitation bei nicht-demenzkranken Patienten: Körperliche und geistige Funktionen des Patienten sollen wiederhergestellt werden, um alltägliche Aktivitäten wieder zu ermöglichen.
Quelle: idw-online

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