Bei der Diskussion um die Ernährung geht es häufig um Übergewicht und seine schädlichen Folgen für Herz, Kreislauf und Gelenke. Dabei gerät die Kehrseite der Medaille aus dem Blick: Mehr als 80 Prozent der alten Patienten, die in eine Klinik kommen, haben ein hohes Risiko für Mangelernährung oder sind akut mangelernährt – mit zum Teil dramatischen Folgen. Das Wiegen der Patienten und die Bestimmung des so genannten Body-Mass-Index reichen oft nicht aus, um die Bedrohung zu erkennen. Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) empfiehlt daher ein einfaches Screening für die klinische Routine.
"Mangelernährung im Alter ist kein Randproblem“, betont der Präsident elect der DGG, Prof. Dr. Ralf-Joachim Schulz aus Köln.
Eine neue Erhebung des Lehrstuhls für Geriatrie der Uniklinik Köln unter 1.252 ernährungstherapeutisch betreuten Patienten zeigt, dass lediglich 17,7 Prozent der durchschnittlich 80 Jahre alten Patienten gut ernährt sind, bei 58,7 Prozent besteht ein deutliches Risiko für Mangelernährung und 23,6 Prozent der Patienten sind akut mangelernährt
Eine Mangelernährung hat für die Betreffenden erhebliche Auswirkungen: Das Immunsystem wird schwächer und die Muskelkraft sinkt, der Betreffende ist insgesamt krankheitsanfälliger, Wunden heilen schlechter. Außerdem sind mangelernährte Patienten eher müde und geistig weniger leistungsfähig, auch der Antrieb und die Lebensfreude gehen zurück. Mangelernährte Patienten erholen sich schwerer von Krankheiten und müssen häufig länger in der Klinik bleiben. Das Risiko, an Krankheiten zu sterben, ist deutlich höher.
Wann Mangelernährung beginnt
Einen einfach zu ermittelnden Hinweis für eine Mangelernährung bietet der Body-Mass-Index. Er berechnet sich aus dem Gewicht geteilt durch die Größe im Quadrat. Ein 1,80 Meter großer Mann, der 80 Kilogramm wiegt, hat einen BMI von 80/1,80^2, also 24,7 kg/m². Ein BMI unter 20 weist auf eine Mangelernährung hin, fällt der Wert unter 18,5 kg/m² ist der Betreffende sicherlich mangelernährt.
Die Kölner Untersuchung belegt aber, dass der BMI nicht ausreicht, um mangelernährte Patienten zu erkennen. Laboruntersuchungen auf die Nährstoffe Vitamin D, Cobalamin und Folsäure, bei denen im höheren Alter ein Risiko für eine Unterversorgung besteht, zeigten, dass viele mangelernährte Patienten einen unauffälligen BMI haben. „Wir empfehlen für die klinische Routine daher neben der Bestimmung des BMI sechs einfache Fragen, die den Ernährungszustand des Patienten beleuchten“, so Schulz. Diese betreffen
- einen Gewichtsverlust in den vergangenen Monaten
- die Mobilität des Patienten
- die Selbstständigkeit bei der Essensaufnahme
- die Zahl der Hauptmahlzeiten
- die Flüssigkeitszufuhr und
- die subjektive Gesamteinschätzung des Gesundheitszustandes durch den Patienten.
Der einfach auszufüllende Erhebungsbogen erfordert während des Patientengespräches in der Klinik knapp fünf Minuten.
Obgleich der Nutzen eines frühzeitigen Screenings auf Mangelernährung bekannt ist, stellte die Arbeitsgruppe Ernährung der DGG in einer Umfrage fest, dass nur 40 Prozent der geriatrischen Kliniken in Deutschland entsprechende Screenings umsetzen.
„Die Mangelernährung im Alter hat viele Ursachen“, betont Schulz. Ältere Menschen sind oft weniger hungrig, das Sättigungsgefühl stellt sich eher ein. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich der Magen bei älteren Menschen langsamer entleert.
Wichtig und oft unterschätzt sind Geruchs- und Geschmacksstörungen: Sie vermindern den Genuss beim Essen und führen dazu, dass die Betreffenden Mahlzeiten auslassen. Geruchs- und Geschmacksstörungen sind häufig: Rund die Hälfte der älteren Menschen sind davon betroffen. Auch Kau- und Schluckbeschwerden sind als Ursachen für eine zu geringe Nahrungsaufnahme häufig.
Wichtig sind außerdem unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Mundtrockenheit oder Übelkeit. Auch sie führen dazu, dass die Patienten zu wenig essen.
Schließlich kann nahezu jede akute oder chronische Erkrankung eine Mangelernährung auslösen. Wichtige Beispiele sind Infektionen, operative Eingriffe und Schilddrüsenerkrankungen.
Neben den körperlichen Ursachen betont Schulz auch die psychosozialen Hintergründe: „Ein häufiger Grund ist Einsamkeit. Allein zu kochen und zu essen macht den Betreffenden keine Freude, deshalb verringern sie ihre Mahlzeiten nach und nach immer mehr“, so der Geriater.
Immer bedeutsamer werden außerdem Demenzen. Die meisten Patienten verlieren im Verlauf der Erkrankung deutlich an Gewicht. In frühen Stadien sind dafür eher neurologische und hormonelle Faktoren verantwortlich, schreitet die Krankheit fort, führen die kognitiven Defizite zu immer größeren Problemen auch beim Essen.
Quelle: idw-online
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